Der Malreiher

Der Malreiher

Da saß sie – traurig und einsam – die Fünf. Fünf war ihr Name und darauf war sie sehr stolz, denn er gefiel ihr einfach wunderbar. Ach, seufzte sie, wär ich doch größer und schwerer, dann wär ich sicher auch stärker, so aber bin ich nur fünf stark. Sie hatte nämlich einen Freund der war sechs stark.Ich möchte doppelt so stark sein, wünschte sie sich – alles würde ich dafür tun, alles.

Plötzlich war die Sonne kurz verschwunden – dann war sie wieder da, doch gleich darauf war sie wieder weg – dann war sie wieder da. Fünf schaute hinauf und sah einen Vogel hin und her fliegen, der immer wieder kurz die Sonne verdeckte. Und als die Fünf den Vogel sah, kam er im Sturzflug auf sie zu. Oje, wäre ich bloß stärker – doppelt so stark, nein dreimal so stark, dann könnte ich mich jetzt wehren, so aber … In diesem Moment landete der Vogel dicht neben der Fünf. Um zu bremsen, breitete er seine mächtigen Flügel weit auseinander – dabei fiel die Fünf zu Boden, schlug die Arme über dem Kopf zusammen und glaubte ihr letztes Stündlein habe geschlagen.

Hallo Fünf, sagte der Vogel, mit krächzender aber angenehmer Stimme, ich heiße Malreiher und kann dir vielleicht helfen. Zittrig stand die Fünf auf, ihre Knie waren weich und ihr Herz klopfte bestimmt schneller als schnell. Wer bist du, fragte sie kleinlaut. Ich bin der Malreiher und habe gehört, dass du doppelt so stark sein willst. Das hast du gehört, aber ich habe es mir ja nur gewünscht. Ja, und deinen Wunsch habe ich gehört – so ist das eben – jetzt klang die seine Stimme etwas ärgerlicher. Ich kann dir deinen Wunsch erfüllen – du musst es nur wirklich wollen!

Ja, lieber Malreiher, ich will es, ich will es wirklich – bitte mach es, rief die Fünf ganz aufgeregt. Gut, es gibt da nur eine kleine Sache, sagte der Malreiher. Kein Problem, jubelte die Fünf, kein Problem – ich mach alles, alles – los, sag mir, was soll ich tun? Der Malreiher runzelte die Stirn und sagte mit ruhiger Stimme: „ Du musst bereit sein, deinen Namen zu ändern.“ Was, nein, unmöglich, keine Chance, kommt nicht ins Getüte, nie und nimmer nie, auf keinen aller Fälle, nie, nie, nie, nie – alles, aber das nicht!!!

Die Fünf konnte kaum noch aufhören nein zu sagen, so sehr war sie entsetzt darüber, dass sie ihren wunderhübschen Namen aufgeben sollte. Mein Name ist einmalig, sagte sie schließlich ganz bestimmt zum Malreiher – hast du gehört – e i n m a l i g! Ja, das ist es ja, du bist eben nur einmal da. Du willst doppelt so stark sein, also mache ich, dass du zweimal da bist. Ich brauche nur zweimal mit meinen Flügeln zu schlagen und du wirst sehn, aus fünf wird zehn – das ist dann übrigens auch dein neuer Name – zehn. Das sagte der Malreiher so nett er konnte, um die Fünf wieder zu beruhigen. 

Ja, aber – du meinst – na ja – wer weiß – vielleicht – aber oje – ich meine, bist du dir sicher, dass ich mich dann noch kenne, meinte die Fünf  etwas unsicher. Ja, natürlich, ich bin mir sicher, sagte der Malreiher mit einem schelmischen Grinsen, ich bin mir sicher – du kennst dich nicht mehr. Was, schrie die Fünf, du lügst! Nein, sagte der Reiher cool, das ist so. Jetzt bist du eine Fünf – bist du zweimal fünf stark, dann bist du die Zehn. Die Zehn ist ganz anders. Größer, dicker, länger und stärker – das wolltest du ja, oder?

Nein, ich glaube das wollte ich nicht, sagte die Fünf so leise, dass der Reiher sich ganz nah zu ihr hinbeugte, um sie zu hören. Ich bleibe lieber wie ich bin – so kenne ich mich wenigstens. Lieber allein und klein, als groß und einsam, murmelte die Fünf. Dem Malreiher tat die kleine Fünf in diesem Moment wirklich leid – da hatte er eine Idee. Hör zu, sagte er zur Fünf mit übertrieben freundlicher Stimme.

Ich könnte es so machen: Du bleibst eine Fünf und ich mache, dass noch eine Fünf dazu kommt. Gemeinsam seid ihr dann doppelt so stark wie du allein – und zwar genau so stark wie die Zehn allein. Ulden, das wär fein, das wär super fein, das wär blubber lubber super fein – bitte, bitte mach das, du mein lieber Malreiher!! Bevor der Malreiher etwas sagen konnte schnatterte die Fünf frisch und fröhlich weiter:

Angenommen du würdest noch eine Fünf dazu machen, dann wären wir ja drei Fünfen – dann wären wir stärker als die Zehn, oder? Ja, genau, dann seid ihr gemeinsam so stark wie die Fünfzehn, und die ist sehr, sehr stark, sagte der Malreiher. Ui, gibt es noch etwas stärkeres, wollte die Fünf mit neugierigen Augen wissen. Natürlich, zum Beispiel die Zwanzig, die ist 4mal so stark wie zu allein. Was, 4mal eine Fünf, da staune ich aber – und das geht?

Die Fünf war begeistert! Immer weiter fragte die Fünf den Malreiher. Sie wollte wissen wie stark 5mal eine Fünf ist und 6mal eine Fünf und 7mal eine Fünf und als sie fragte wie stark 100mal eine Fünf ist – da waren sie und der Malreiher schon sehr müde. Der Malreiher hatte ihr immer geduldig geantwortet – jetzt war es aber bereits fast dunkel geworden und der Mond stand bereits am Himmel. Eine Frage habe ich noch, sagte die Fünf und gähnte dabei:“ Kannst du das auch mit der Sechs und mit der Sieben und überhaupt mit allen Zahlen? Ein kurzes aber klares und etwas müdes, JA, kam aus dem Schnabel des Malreihers, der so viel Neugier noch nie erlebt hatte. 

Komm, schlüpf unter meine Flügeln und schlaf dich aus – morgen zeige ich dir wie das mit den anderen Zahlen geht – und, meine liebe Fünf, du hast recht, bleib einfach eine Fünf – das steht dir wirklich hervorragend. Kurze Zeit später schliefen beide ein.